Das Doppelleben der Reiter
Frohe Weihnachten!
Das Doppelleben der Reiter
Frohe Weihnachten!
Ein bisschen leben wir Reiter ein Doppelleben. Geben ein Stück von unserem gelernten und gelebten, vom polierten und gepimpten Image an der Gasse ab, die zu der Box führt, wo sich uns ein – aktuell manchmal wenigstens noch an den Spitzen sauberes – Ohr über eine Tür entgegendreht und etwas Dreckverkrustetes erwartungsvoll herüberwiehert. Das ist schön. Das ist einfach. Das ist einfach schön.
Das ist nicht die reine Liebe. Wer das glaubt, hat seine Lektion noch nicht gelernt. Das ist die reine Erwartungshaltung. Nach Zuwendung, aber bitte adäquat und der Vierbeiner-Tagesform angepasst. Gern nach Leckerlie – aber nicht die mit Mineralien. Nach Bespaßung, Miteinander und frischer Luft – und all das ist ok. Pferde sind keine Tennisschläger und keine Hunde: Die eigenen Pläne spielen im Umgang mit ihnen nämlich auch eine, aber keine große Rolle. Wie oft habe ich mir hehre Ziele für den Tag gesteckt, um mich am Ende mit der „Gruselecke“ auseinander zu setzen. Die am Vortag nicht da war, und am Tag davor auch nicht. Meine Definition von „jetzt“ hat seit meiner ersten Reitstunde so manche Alternative bekommen und den Satz „das muss aber“ hat mir schon mein allererstes Pony ausgetrieben.
Im Stall ist es wichtig, die eigene Visitenkarte gleich auf den nächstgelegenen Misthaufen zu werfen. Der – und das ist in den meisten Ställen wortwörtlich zu nehmen – zumeist hinter drei Schlammlöchern auf Befüllung wartet. Das ist selten kommod. Aber am Ende des Tages genau gut so, wie es ist. Wer also mit seinen Prada-Samtschühchen auftaucht, macht das – genau einmal. Und lernt sehr schnell, dass es in keinem Stall der Welt, allen Klischees zum Trotz, irgendwo möglich ist, saubere Sohlen zu behalten, wenn es in die Nähe von Pferden geht. Ich habe zwar durchaus schon Menschen mit Fellkragen an weißen Designer-Jacken vor Pferde-Boxen stehen sehen. Die klugen unter ihnen taten das – genau einmal. Und es ist sicherlich möglich, handgenähte Maß-Leder-Reitstiefel zu tragen. Am besten aber maximal und ausschließlich auf dem Pferd und gewiss nicht im Stall.
Pferde sind quasi wie eine Schuluniform. Sie machen uns nicht gänzlich gleich. Zumal es solche und solche Pferde, wie auch solche und solche Schulen, und natürlich die verschiedensten Reiter gibt. Aber sie reduzieren uns mit ihrem ganz speziellen Wesen auf etwas, das elementar ist: auf uns selbst. Und das ist gut so. Ein Pferd erinnert uns an das Beste und das Schlechteste, was wir sein können, und an das, was wir sein wollen. In erster Linie fordert es ein, verantwortlich und respektvoll mit ihm als Lebewesen umzugehen. Etwas, das manche Menschen schon in ihrer Beziehung zu einem anderen Menschen gern vergessen. Und auch ein Hund mag vieles Schöne mitbringen. Pferde und Hunde unterscheidet jedoch eins grundlegend: Ein Pferd wird niemanden bedingungslos „lieben“, der es ungerecht oder falsch behandelt. Ob es „liebt“ sei ohnehin einmal dahingestellt. „Bedingungslos“ jedenfalls ist etwas, das Hunde gewissermaßen als „Ad-On“ mitbringen, Pferden aber gänzlich fehlt. Das macht sie zu großartigen Pädagogen. Sie stellen ihre eigenen Bedingungen – wenige, aber wichtige. Werden die nicht erfüllt, hat das immer eine Konsequenz. Meist keine gute.
Und sie geben viel, wenn sie bekommen, was sie brauchen. Anerkennung zum Beispiel. Wer im Umgang mit dem Pferd etwas gut macht, bekommt sofort die Quittung. Wer nicht, auch. Ein Pferd wird nicht wieder und wieder verzeihen, was aus welchem Grund auch immer, nicht zu verzeihen ist. Wer sich bei einem Pferd wie eine offene Hose benimmt, macht das genau einmal. Danach hat er ziemliche lange „gut“ daran, zu reparieren, was zuweilen dann nicht mehr zu reparieren ist.
Das hat Vieles für Viele zur Folge: Im Stall spielt es keine Rolle, wer wo wie wichtig ist und was er mit wem wann gemacht hat. Im Reiterleben gibt es viele einfache Menschen, die Großartiges erreichen – weil sie Großartiges in sich tragen. Und es gibt großartige Manager, die woanders viel Verantwortung tragen, im Stall aber nicht die einfachsten Dinge geregelt bekommen. Ich persönlich frage mich bei manchen vermeintlich wichtigen, wichtigtuenden, Menschen gern, ob sie vom nächsten Shetland Pony wohl an die Wand gedrängelt werden würden.
Am zufriedensten unter uns Reitern sind wohl die, die in den Stall gehen, um alles draußen zu lassen, was draußen ist und nach draußen gehört. Die zwar nicht gern im Matsch stehen, die all das um den Matsch herum aber brauchen, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren, um die Kostbarkeit der Zeit nicht zu vergessen, die im Stall nicht zu beschleunigen ist. Es dauert eben mit dem Pferd. Und zwar genau so lange, wie das Pferd braucht, um zu verstehen, was der Mensch ihm zu vermitteln versucht. Oder so lange, bis der Mensch endlich den richtigen Draht findet. Oder den richtigen Dreh. Und manchmal dauert es einfach nur so. Und dann geht anderes wieder ganz schnell. Am Ende ist das Leben mit den Pferden weder genau zu planen, noch bis ins Letzte zu beeinflussen. Die Fehler dabei machen in den wenigsten Fällen die Pferde. Aber die meisten Pferde machen „Fehler“ genau einmal. Alles andere ist gelerntes Verhalten. Und am Ende habe ich für mich ganz persönlich gelernt, dass dieses Leben mit den Pferden etwas ist, das wegen all seiner vielen wunderbaren und wundersamen Aspekte nicht nur wie ein zweites Leben ist, sondern – zumindest für mich – doppelt zählt.
Frohe Weihnachten!